Das Bauen von morgen: TGA wird wichtigster Strukturgeber

Bauen ist immer noch ein sehr geerdeter, handwerklicher Prozess. Dem gegenüber stehen aktuelle Herausforderungen, die sich mit dieser arbeitsteiligen Abwicklung nicht mehr bewältigen lassen. Das interaktive Weiterbildungszentrum Viega World gilt als Leuchtturmprojekt, wie die Zukunft des Bauens stattdessen aussehen könnte. Dazu gehören eine umfassende Integrale Planung mit der Arbeitsmethodik Building Information Modeling (BIM) sowie ein digitales Modell. 

Maßgeblich (mit-)entwickelt hat das Projekt, das als Blaupause für das Bauen von morgen dienen kann, Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christoph van Treeck. Als Inhaber des Lehrstuhls für Energieeffizientes Bauen E3D an der RWTH Aachen University, Leiter des BIM Centers Aachen und Geschäftsführer der E3D Ingenieurgesellschaft mbH Aachen kennt er das Thema Digitales Planen, Bauen und Betreiben in der Theorie wie in der Praxis gleichermaßen – und nennt wichtige Kernsätze, worauf sich Baubeteiligte einstellen sollten:

  • Wichtigster Erfolgsfaktor in einem Bauprojekt ist eine fundierte Bedarfsplanung.
  • Der Bauherr hat dabei eine zentrale Funktion und besondere Verantwortung, sowohl in den Bereichen Organisation als auch der inhaltlichen Vorgaben und Zieldefinition.
  • Die TGA ist der zentrale Strukturgeber für alle Prozesse entlang des Lebenszyklus. Integrale Zusammenhänge können bereits in frühen Projektphasen gewerkeübergreifend gelöst werden.
  • Wissenschaftliche Methoden zur Komplexitätsreduktion und zur Verknüpfung von Informationssystemen können Medienbrüche im BIM-Informationsmanagement überbrücken.

Welche Herausforderungen stellt das Bauen von morgen?

Das Bauen von morgen wird durch eine ganze Reihe unterschiedlichster Einflussgrößen herausfordernd. Das klassisch nach Gewerken in einer klaren Abfolge organisierte Bauen wird zum Beispiel sowohl durch den Fachkräftemangel wie durch wirtschaftliche Zwänge immer problematischer, weil es Bauprozesse in die Länge zieht. Hohe Stückzahlen im Wohnungsbau sind aber nur durch die Industrialisierung des Herstellungsprozesses möglich, also den Ansatz des modularen Bauens (nicht zu verwechseln mit Modulbau). Mindestens genauso wichtig ist für das Bauen von morgen die Forderung, nachhaltiger und ressourcenschonender zu bauen, als dies bislang der Fall war. Das bezieht sich sowohl auf den Energiebedarf, den ein Gebäude in der Betriebsphase hat, als auch auf den verschwendungsfreien Einsatz von Baustoffen, die nach dem Ende der Nutzungsphase möglichst vollständig wiederverwertet werden können – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Prof. Christoph van Treeck: "Ein Fokus der Digitalisierung im Bauwesen liegt unter anderem auch auf der intelligenten Inbetriebnahme und der energetischen Betriebsoptimierung von Bauwerken bzw. deren technischen Anlagen, weil darüber Energieeinsparungen von bis zu 30 Prozent ermöglicht werden.“

Warum wird die TGA für das Bauen von morgen so entscheidend?

Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist das Bauen von morgen in erster Linie ressourcenschonendes Bauen. Ein Ziel steht dabei besonders im Fokus: die Verringerung des Primärenergieeinsatzes, damit die Bedarfe möglichst aus regenerativen Quellen zu decken sind. Um dafür den Rahmen abzustecken, setzt die Integrale Planung schon in der „Planungsphase 0“ mit einer dezidierten Beschreibung der Anforderungen der künftigen Nutzer an das Gebäude an. Wo werden – um an dem einen Stichwort zu bleiben – während der Betriebsphase wesentliche Wärmesenken entstehen, über welche Wärmequellen sind die zu decken, und was beeinflusst darüber hinaus diese Erträge? Wie über die Raumwärme hinaus beispielsweise die Aufwendungen für Kälte oder zur Bereitung von Trinkwasser warm.

Zur Beantwortung dieser Fragen kann – und muss – die Technische Gebäudeausrüstung einen maßgeblichen Beitrag leisten, denn sie stellt mit den notwendigen Transportwegen für Energie und Trinkwasser die „Lebensadern des Gebäudes“. Die TGA wird dadurch über die Trassen und die Nutzungseinheiten zum Strukturgeber eines Gebäudes; deutlich vor der Architektur.

Prof. Christoph van Treeck: „Im Sinne einer ressourcenschonenden Projektqualität wie einer effizienten Projektabwicklung gilt es deswegen, die Kollaboration zwischen den einzelnen Gewerken zu definieren und zu verbessern. Zudem müssen wir über einen vorgeschalteten digitalen Prozess zu einer Zusammenarbeit der Baubeteiligten kommen, der sich über alle Leistungsphasen der HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) erstreckt, aber eben ganz vorne beginnt – in der ,Phase 0‘.“

Welche Rolle spielen BIM und ein präzises Informationsmanagement für das Bauen von morgen?

Für die hohe Qualität der Bedarfsbeschreibung muss beim Bauen von morgen der künftige Nutzer bzw. Betreiber in der „Planungsphase 0“ zwingend Verständnis entwickeln, denn darauf basiert letztlich die konsequente Anwendung der BIM-Methodik im digitalen Bauprozess. Projektentwickler sollten deswegen auch ein originäres Interesse haben, dieser Planungsphase unabhängig von den derzeit noch geltenden Festlegungen der HOAI zeitlich wie inhaltlich den notwendigen Raum zu geben. Bereits vor Beginn der eigentlichen Planung wurde dafür beim Entwurf der Viega World zum Beispiel ein gewerkeübergreifender Dialog eingefordert, um schon zu diesem Zeitpunkt integrale Zusammenhänge in entsprechende Konzepte zu überführen: BIM ist als zentrale Aufgabe für die strategische und projektbegleitende Steuerung von BIM-Prozessen sowie die Erfüllung von BIM-Zielen zu verstehen.

Denn die Integrale Planung mit der Arbeitsmethodik BIM ist zuvorderst nicht datengetrieben, sondern viel stärker eine Frage der Prozessorganisation: Im Vergleich zum herkömmlichen, seriellen Bauen verändert sich bei der Integralen Planung mit der Arbeitsmethodik BIM vor allem die Objektbeschreibung durch den Auftraggeber (Stichwort: Auftraggeber-Informationsanforderungen, AIA), also gleich der Auftakt des Projektes. Dann folgen die Prozessorganisation selbst und nicht zuletzt die Projektabwicklung (Stichwort: BIM-Abwicklungsplan) mit der Kollaboration der verschiedenen Gewerke. Und gewissermaßen als Klammer wird das Ganze dann von einer übergreifenden Datenstruktur getragen, die ihren sichtbaren Ausdruck in dem digitalen Modell findet. Eine zentrale Frage ist dabei, welche Datentiefe im Einzelfall und je nach Prozessschritt notwendig ist.

Prof. Christoph van Treeck: „Modellkomplexität, Planungsfortschritt und Informationsliefergegenstände stehen hierbei in einem unmittelbaren Zusammenhang. Um über die gesamte Planungsphase hinweg ein performantes Arbeiten zu ermöglichen, ist nach den gemachten Erfahrungen beispielsweise das Arbeiten am Gesamtmodell nur für die Grundlagenarbeit und die Vorplanung sinnvoll, spätestens ab der Entwurfsplanung ist eine Zerlegung in Teilmodelle notwendig.

Weiterhin sind neue wissenschaftliche Ansätze erforderlich, um die zahlreichen Medienbrüche im Lebenszyklus eines BIM zu lösen. So wurde für die Visualisierung von Betriebsdaten am Digitalen Zwilling im Rahmen des Forschungsprojektes Energie.Digital*) ein neuer Ansatz im Informationsmanagement gewählt. Methoden zur Komplexitätsreduktion des TGA-Modells und Linked Data Techniken verknüpfen BIM mit Daten aus der Gebäudeautomation. Die Betriebsdatenvisualisierung in Echtzeit wurde in Energie.Digital in der Viega World als Demonstrator umgesetzt.“

*)Forschungsprojekt Energie.Digital, gefördert durch das Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK auf Grund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags. Projektpartner Viega GmbH & Co. KG, Fraunhofer ISE und RWTH Aachen University, Förderkennzeichen 03ET1611B.

"Die Gebäudetechnik wurde in der Integralen Planung mit der Arbeitsmethodik BIM als wichtigstes strukturgebendes Element identifiziert, das besondere Anforderungen an die Organisation von Informationen und Daten stellt – insbesondere in frühen Planungsphasen."

Prof. Christoph van Treeck

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