Jonas Kreis im Interview: Digitalisierung der Baubranche – Ausblick und Nutzen für Investoren
Die Transformation von der Nutzung fossiler hin zu erneuerbaren Energien und die Digitalisierung sind zwei globale Megatrends. Sie haben auch auf die Baubranche und Immobilienwirtschaft massiven Einfluss: Das Thema Nachhaltigkeit ist bei Investoren und Projektentwicklern schon präsent. Doch welchen Weg nimmt die Digitalisierung im Bauwesen, und welche Konsequenzen und Vorteile ergeben sich für die Immobilienwirtschaft? Diesen Fragen stellt sich Viega Key Account Manager Jonas Kreis im Interview.
Die Digitalisierung hinkt im Baugewerbe noch hinterher. Aber die Arbeitsmethodik BIM und das Trinkwassermanagement-System AquaVip Solutions zeigen exemplarisch, welches Potenzial für mehr Nachhaltigkeit im Neubau und Bestand die Digitalisierung erschließt.
Jonas Kreis (Key Account Manager), Viega GmbH & Co: KG
Das Interview: Jonas Kreis
Herr Kreis, die Messe digitalBAU in Köln zeichnet ein visionäres Bild der Digitalisierung im Bauwesen. Was ist bereits Realität, welche digitalen Lösungen werden sich wohl durchsetzen, und was ist ferne Zukunftsmusik?
Jonas Kreis:
Aspekte der Digitalisierung im Bauwesen umfassen den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes – von der Planung über den Bau, den Betrieb bis zum Rückbau oder idealerweise dem Recycling von Baustoffen. Entlang dieser Chronologie haben sich digitale Prozesse bisher erst unterschiedlich stark etabliert. Grundsätzlich ist aber festzuhalten, dass die Digitalisierung im Bauwesen im Vergleich zu anderen Branchen weit hinterherhinkt. Im jüngsten Digitalisierungsindex des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz schwingt das Baugewerbe hier nach wie vor die rote Laterne. Am weitesten ist die Digitalisierung dabei in der ersten Lebenszyklusphase, der Planung eines Gebäudes vorangeschritten. Stichwort BIM, Building Information Modeling. Aber es entstehen auch viele Projekte im Betrieb, die die Digitalisierung nutzen wollen – das Facility Management holt also auf.
Würden Sie also sagen, Digitalisierung im Bauwesen ist im Moment noch kein so wichtiges Thema für Investoren? Schließlich kann es dem Bauherrn oder Projektentwickler egal sein, mit welcher Software ein Objekt geplant wird. Hauptsache, die Qualität stimmt und der Kosten- und Zeitplan wird eingehalten.
Jonas Kreis:
Ganz im Gegenteil: Digitalisierung ist ein enorm wichtiges Thema für Investoren, weil alle Aspekte des effizienten Bauens und Betreibens von der Planungsqualität abhängen. Letztlich ist die Digitalisierung ein Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit und Effizienz im Gebäudesektor. Und BIM, um im Wortbild zu bleiben, ist einer der wichtigsten Wege dahin. Denn BIM – das ist ein Irrtum, der sich hartnäckig hält – ist keine neuartige Planungssoftware, sondern steht für eine völlig andere Arbeitsmethodik. Die Umsetzung dieser Methodik ist natürlich Software-gestützt. Konsequent angewandt, stehen dem Gebäudebetreiber mit BIM Daten zur Verfügung, mit denen er den Betrieb deutlich effizienter gestalten kann. Also nicht nur die bauausführenden Gewerke beziehungsweise der Bauherr profitieren von BIM, sondern auch der spätere Eigentümer, Gebäudenutzer oder die Betreibergesellschaft. Außerdem kann der Investor bei einer Integralen Planung mit BIM deutlich größeren Einfluss auf die Auslegung der Nutzungsabläufe nehmen, für die das Gebäude gebaut wird.
Können Sie kurz auf den Punkt bringen, wie sich die Arbeitsmethodik BIM von der üblichen Herangehensweise unterscheidet?
Jonas Kreis:
Vereinfacht gesagt, arbeiten durch BIM alle relevanten Planungsdisziplinen von Beginn an mit dem Investor zusammen und modellieren ein dreidimensionales, virtuelles Gebäude. Kollisionen und Konflikte der Fachplanungen lassen sich somit bereits in der Entstehung erkennen und eliminieren. Erst von diesem Planungsstand leiten sich Pläne oder andere Informationen zur Ausführung ab. Die tatsächliche Realisierung der Bauabschnitte wird über Laserscans wieder in das Gebäudemodell zurückgespielt, sodass am Ende der Investor und Gebäudebetreiber ein digitales Modell seines Gebäudes erhält. Darauf können dann verschiedene Prozesse wie ein Energiemonitoring und das Facility Management aufsetzen.
Im Unterschied dazu erarbeiten derzeit die Fachgewerke quasi autonom ihre meist zweidimensionalen Planungsunterlagen. Die Arbeitsmethodik BIM verändert das. Sie ist integral, weil jeder Beteiligte mit Rücksicht und Wissen der anderen Gewerke plant, Änderungen ausgetauscht werden können und so der Bauprozess vereinfacht und beschleunigt wird. Zudem reduziert sich die Nacharbeit. Das ist im Übrigen ein wesentlicher Faktor mit Blick auf das Einhalten von Budget- und Zeitplänen.
Sie haben jetzt mehrfach die Vorteile von BIM für Investoren in puncto Facility Management angesprochen. Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Jonas Kreis:
Beispiele sind die Wartung von Bauteilen, wie Zirkulationsregulierventile, oder der Austausch defekter Bauteile wie Pumpen. Heute ist die gängige Praxis, zunächst vor Ort zu prüfen, wo das Bauteil genau platziert ist. Das ist oft sehr zeitintensiv. Muss ein Bauteil ausgetauscht werden, startet die nächste Suche und zwar nach dem Typenschild. Ist eine passende Pumpe auf Lager oder hat der beauftragte Fachhandwerker sie zufälligerweise dabei, kann der Austausch sofort erfolgen – um bei diesem Beispiel zu bleiben. Sonst muss die Ersatzpumpe erst bestellt werden. Anders, wenn ein digitales Modell verfügbar ist: In diesem sind die Bauteile mit allen relevanten Produktspezifikationen hinterlegt. Und es ist klar ersichtlich, wo sie verbaut sind. Das vereinfacht Wartungs- und Reparaturarbeiten deutlich. Auch Umbaumaßnahmen können so viel präziser geplant und durchgeführt werden.
Das sind sehr praxisnahe Beispiele für die Digitalisierung im Baugewerbe. Doch die integrale Planung mit der Arbeitsmethodik BIM betrifft ja im Wesentlichen Neubauprojekte. Gibt es auch digitale Anwendungen für Bestandsgebäude, beispielsweise um die Energieeffizienz zu steigern?
Jonas Kreis:
Die gibt es. Um ein Gebäude energieeffizienter betreiben zu können, muss zunächst ein Energiemonitoring aufgebaut werden. Die größten Energieverbraucher sind meistens die Heizung, Klimatisierung und Lüftung sowie die Trinkwassererwärmung. Hierfür sind Messpunkte zur digitalen Erfassung der Live-Daten von Energieverbräuchen festzulegen. Nur wenn klar ist, wo und wann welche Energie angefordert wird, kann eine echte Verbrauchsoptimierung erfolgen – auch in Abhängigkeit von Nutzungsszenarien und der Verfügbarkeit von regenerativen Energien.
Wie lässt sich ein solches Energiemonitoring für die Trinkwassererwärmung realisieren, und wo liegen die Vorteile?
Jonas Kreis:
Ein Monitoring der Trinkwasserverläufe bietet die Möglichkeit, neben der energetischen Verbesserung auch den Ressourcenverbrauch von Trinkwasser zu optimieren. Trinkwasser ist unser wichtigstes Lebensmittel. Deshalb wird der Wasserverbrauch einer Immobilie auch in den bekannten ESG Scoring Modellen quantitativ bewertet. Eine Verbrauchsreduzierung kann zu einer besseren Bewertung der Immobilie führen. Das ist, neben der Energieeffizienz, ein großer Mehrwert für den Investor, Eigentümer und Betreiber.
Für die Digitalisierung von Trinkwasseranlagen hat Viega das Trinkwassermanagement-System AquaVip Solutions entwickelt. Temperaturfühler an gezielt ausgewählten Stellen lassen sich über Controller verbinden und ergeben ein Bild, welche Temperaturen beispielsweise am Kopf der Steigestränge und im Rücklauf herrschen. Darüber hinaus lassen sich elektronische Zirkulationsregulierventile über die AquaVip-Controller vernetzen und ebenso der AquaVip-Durchfluss-Trinkwassererwärmer von Viega integrieren. Das System kann auch schrittweise aufgebaut werden, um die Trinkwasserinstallation aus energetischer und hygienischer Sicht optimal zu monitoren.
Und wo liegen die Potenziale für mehr Nachhaltigkeit bei AquaVip Solutions?
Jonas Kreis:
Die Optimierungspotenziale sind vielfältig. Alleine die Trinkwasserhygiene abzusichern, ist ein wichtiger Beitrag zum nachhaltigen Umgang mit der kostbaren Ressource Trinkwasser. Was den Energieeinsatz für die Trinkwassererwärmung betrifft, nur zwei Punkte: Erstens stellen die elektronischen Zirkulationsregulierventile ständig den hydraulischen Abgleich der Steigestränge her. Dadurch wird ein gleichmäßiges Temperaturregime erreicht und unnötig hohe Temperaturbereiche vermieden. Und zweitens: Die Trinkwassererwärmung im Durchlaufprinzip ist energieeffizienter als Trinkwasser in einem Speicher mit der hohen Temperatur von 60 °C vorzuhalten – ein Temperaturniveau, das erforderlich ist, um dem Wachstum von Legionellen vorzubeugen.
Bis jetzt haben wir über Bereiche im Bauwesen gesprochen, in die die Digitalisierung bereits Einzug gehalten hat. Wie sieht die weitere Zukunft der Digitalisierung auf der Baustelle aus?
Jonas Kreis:
Bislang ist das Bauen in der Regel reine Handarbeit und jedes Gebäude praktisch ein Unikat. Eine Ausnahme sind Fertighäuser. Im Vergleich zu industriellen Prozessen in der Automobilindustrie ist das Baugewerbe noch auf dem Stand, bevor Henry Ford in seinen Werken das Fließband eingeführt hat. Aber erste Schritte zu einer Industrialisierung des Bauwesens sind gemacht. Dazu zählt die Vorfertigung von einzelnen Bausteinen, die auf der Baustelle nur noch zusammengesetzt werden müssen. Oder auch die Modulbauweise mit vorgefertigten Baukörpern und das serielle Sanieren von Bestandsgebäuden, das mit höheren Förderquoten belohnt wird. In dem Tempo, wie die Digitalisierung in der Planung mit BIM fortschreitet, erwarte ich auch eine Steigerung des Vorfertigungsgrads im Bauwesen – das geht Hand in Hand. Eine andere Zielsetzung ist das „urban mining“, die Rückgewinnung von Rohstoffen am Ende des Lebenszyklus eines Gebäudes. Grundvoraussetzung für alle diese Zukunftsthemen ist die Digitalisierung. Insofern bleibt das Thema für Investoren, Projektentwickler und Betreibergesellschaften gleichermaßen interessant und bedeutsam, um den Gebäudesektor kosten- und energieeffizienter zu gestalten.
Das sind wirklich spannende Zukunftsthemen, Herr Kreis, die uns noch viel Gesprächsstoff bieten werden. Vielen Dank erst einmal bis hier. Haben Sie zum Abschluss noch eine Empfehlung, für die Leser, wie man sich detaillierter informieren kann?
Jonas Kreis:
Ja, gerne. Einen super Einblick in die praktische Anwendung von BIM bietet das Viega Seminar BIM Experience. Denn das Seminargebäude Viega World selbst ist nach BIM geplant und gebaut. Somit ist das Seminarcenter zugleich Schulungsort und Schulungsgegenstand. Auch zum digitalen Trinkwassermanagement bietet Viega Seminare an. Einen Schritt weiter geht das Serviceangebot Viega Building Intelligence. Hiermit unterstützen wir die unterschiedlichen Zielgruppen, den BIM-Prozess im eigenen Unternehmen zu etablieren. Weitere Einzelheiten erläutere ich gerne im persönlichen Kontakt. Für eine Terminabsprache bin ich am besten per E-Mail unter Jonas.Kreis@viega.de zu erreichen.
Vielen Dank für das spannende Gespräch!
BIM Glossar - jetzt kostenlos downloaden!
Mehr zum Thema Integrale Planung mit BIM
Viega unterstützt Projektentwickler, Fachplaner und Investoren bei BIM-Umsetzung – woher kommt die Expertise?
Sie haben Fragen? Wir helfen gerne!
Sie haben Fragen zum Thema Integrale Planung mit der Arbeitsmethodik BIM? Dann freuen wir uns und helfen Ihnen natürlich gerne weiter. Schicken Sie uns einfach eine Nachricht über das Kontaktformular und wir setzen uns schnellstmöglich mit Ihnen in Verbindung.
Jonas Kreis (Key Account Manager), Viega GmbH & Co. KG
Noch mehr über Viega? Schauen Sie vorbei!
Regelmäßig neue Inhalte in unterschiedlichen Kategorien aus der SHK-Branche, rund um unsere Produkte & Lösungen und viele spannende weitere Themen - seien Sie dabei!
Das viegajournal erscheint zweimal im Jahr und befasst sich mit allen wichtigen Themen, Trends und Innovationen in der Technischen Gebäudeausrüstung und ist ein Muss für al